Ärzte am Limit: PTBS im Medizinalltag
Aufgrund des hohen Arbeitspensums bleibt für Ärzte und Ärztinnen nach belastenden Erlebnissen oft wenig Raum für Regeneration und Verarbeitung. Dadurch ist das Risiko für das Auftreten traumatischer Ereignisse und die Entwicklung einer Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) im medizinischen Bereich im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung deutlich erhöht.
Im Berufsalltag von Ärzten gibt es eine Vielzahl von belastenden Situationen, die durch regelmäßige Konfrontationen mit Schmerz, Leid und Tod entstehen.
Die große Verantwortung für das Wohl der Patienten, mögliche Fehldiagnosen und potenzielle Fehlentscheidungen können zusätzlichen Druck erzeugen. Oft fehlt aufgrund des hohen Arbeitspensums Raum für Stressbewältigung für Ärzte und die emotionale Verarbeitung, was das Risiko für PTBS erhöht.
In der internationalen Literatur, insbesondere in englischsprachigen Ländern, wird häufig der Begriff "Posttraumatic Stress Disorder" (PTSD) verwendet. Das Akronym "PTTS" steht im Englischen für "Posttraumatic Stress Symptoms", was die Symptome dieser Störung bezeichnet, aber nicht unbedingt die diagnostische Schwelle zur Störung erreicht. Im deutschsprachigen Raum wird eher von "Posttraumatischer Belastungsstörung" (PTBS) gesprochen. Hier steht das "S" am Ende für "Störung".
Wir verwenden in diesem Blogpost die deutsche Abkürzung PTBS.
Das Posttraumatische Stresssyndrom PTBS
Im medizinischen Umfeld begegnen Ärzte oft traumatischen Erlebnissen im Krankenhaus und anderen Situationen, die über den alltäglichen medizinischen Berufsstress hinausgehen und zu PTBS führen können. Dieser Artikel beleuchtet PTBS, seine Symptome und Anzeichen, und den Unterschied zum typischen Ärzte und Stress.
Was ist PTBS?
Posttraumatisches Stresssyndrom (PTBS) ist eine psychische Erkrankung, die nach dem Erleben oder Beobachten eines traumatischen Ereignisses entstehen kann. Für Ärzte kann dies das Zeugnis eines unerwarteten Todes, eines schweren medizinischen Notfalls oder sogar des emotionalen Stresses sein, der durch wiederholte Exposition gegenüber dem Leid der Patienten verursacht wird.
Symptome und Anzeichen
Obwohl die Symptome von PTBS vielfältig sind, können sie im ärztlichen Umfeld besonders schwer zu erkennen sein, da sie oft mit den alltäglichen Anforderungen des medizinischen Berufs verwechselt werden. Dazu gehören belastende Erinnerungen, Flashbacks, emotionale Distanzierung, Vermeidung von erinnerungsauslösenden Situationen und Schlaf- oder Konzentrationsprobleme.
Unterschied zwischen alltäglichem Stress und PTBS
Der alltägliche Stress im medizinischen Bereich kann intensiv sein, aber PTBS unterscheidet sich in seiner tiefgreifenden und anhaltenden Natur. Während alltäglicher Stress oft durch Ruhepausen oder Entspannungstechniken gelindert werden kann, kann PTBS das tägliche Leben und die Arbeit eines Arztes nachhaltig beeinträchtigen und erfordert häufig spezialisierte Unterstützung und Intervention.
Ursachen für PTBS bei Ärzten
Ärzte werden täglich mit den intensivsten Momenten menschlichen Lebens und Todes konfrontiert. Diese ständige Nähe zu Leid, Krankheit und Tod kann eine schwere emotionale Belastung darstellen. Dazu kommen der hohe Arbeitsdruck, die immensen Verantwortlichkeiten und die regelmäßige Interaktion mit Angehörigen, die eigene emotionale Unterstützung benötigen.
Im ärztlichen Alltag gibt es viele Situationen, die zu einer emotionalen und psychologischen Belastung führen können. Einige dieser Situationen können auch zu PTBS führen, insbesondere wenn sie wiederholt oder ohne angemessene emotionale Unterstützung erlebt werden.
Patiententod und die emotionale Bindung
Jeder Arzt wird im Laufe seiner Karriere Patienten verlieren. Insbesondere wenn es eine enge Bindung oder einen langen Behandlungsverlauf gab, kann der Tod eines Patienten tiefgreifende emotionale Auswirkungen haben.
Fehldiagnosen und ihre psychologischen Auswirkungen
Eine Fehldiagnose kann schwerwiegende Konsequenzen für den Patienten haben. Für einen Arzt, der stets das Wohl des Patienten im Blick hat, kann das Gefühl, versagt zu haben, eine immense emotionale Last darstellen.
Gewalt oder Aggression im klinischen Umfeld
Ärzte sind manchmal physischer oder verbaler Aggression von Patienten oder deren Angehörigen ausgesetzt. Solche Vorfälle können traumatisierend sein und zum Auftreten von PTBS führen.
Folgen von PTBS bei Ärzten
Das Posttraumatische Stresssyndrom (PTBS) ist nicht nur eine persönliche Bürde, sondern hat auch erhebliche Auswirkungen auf das berufliche Leben eines Arztes. Die Tiefe und Komplexität dieser Auswirkungen können sowohl den Arzt als auch das gesamte medizinische Team und die Patienten beeinträchtigen.
Emotionale Distanzierung
Ein Arzt mit PTBS kann sich intuitiv von seiner Arbeit distanzieren. Diese emotionale Distanzierung ist oft ein Verteidigungsmechanismus, um sich vor weiterem emotionalem Trauma zu schützen. Obwohl dies kurzfristig hilfreich sein kann, führt es langfristig zu einer Barriere zwischen dem Arzt und seinen Patienten, was das Patienten-Arzt-Verhältnis und die Qualität der medizinischen Versorgung beeinträchtigen kann.
Verminderte Arbeitsmotivation
Die anhaltende Belastung von PTBS kann zu einer verringerten Arbeitsmotivation führen. Der Arzt kann den Enthusiasmus und die Leidenschaft für seinen Beruf verlieren, was wiederum seine Arbeitsmoral und sein Engagement beeinflusst.
Erhöhte Fehlzeiten und Abwesenheiten
PTBS kann zu körperlichen und emotionalen Erschöpfungszuständen führen. Ärzte können sich überwältigt fühlen und mehr Tage frei nehmen, um sich zu erholen. Dies kann den Arbeitsablauf in Kliniken und Praxen stören und zu einem erhöhten Druck auf Kollegen führen.
Fehler in der Patientenversorgung
Mit der Belastung von PTBS können Konzentration und Aufmerksamkeit beeinträchtigt werden. Dies erhöht das Risiko von Fehlern in der Diagnosestellung, Medikamentenverschreibung oder bei chirurgischen Eingriffen. Solche Fehler können gravierende Folgen für die Gesundheit und das Wohlbefinden der Patienten haben.
Gestörte Beziehungen im medizinischen Team
Die Wechselwirkungen zwischen einem Arzt mit PTBS und Kollegen können ebenfalls beeinträchtigt werden. Reizbarkeit, Rückzug oder übermäßige Emotionalität können zu Missverständnissen und Spannungen innerhalb des Teams führen. Dies kann die Zusammenarbeit und die Patientenversorgung beeinflussen.
Geschädigtes Vertrauensverhältnis
Wenn ein Arzt emotional distanziert oder unvorhersehbar in seinen Reaktionen ist, kann das Vertrauensverhältnis zu den Patienten leiden. Patienten spüren oft, wenn ein Arzt nicht vollständig präsent oder engagiert ist, und dies kann ihr Vertrauen in die Behandlung und den Heilungsprozess untergraben.
Langfristige Folgen für das Wohlbefinden und die Karriere des Arztes
Die ständige Belastung durch PTBS kann nicht nur das tägliche Wohlbefinden beeinträchtigen, sondern auch die berufliche Entwicklung und Karriere eines Arztes behindern. Über die Zeit hinweg kann dies zu Burnout, Depression oder sogar vorzeitigen Karriereenden führen.
Kosten und Auswirkungen auf das Gesundheitssystem
PTBS bei Ärzten kann auch erhebliche finanzielle und organisatorische Folgen für das Gesundheitssystem haben. Erhöhte Fehlzeiten und höhere Fluktuation können zu Personalengpässen führen. Fehler in der Patientenversorgung können zu längeren Krankenhausaufenthalten, Rechtsstreitigkeiten und steigenden Versicherungsprämien führen. Diese zusätzlichen Kosten und organisatorischen Herausforderungen können letztlich die Gesundheitsversorgung für alle beeinflussen.
Hilfe zur Selbsthilfe: PTBS bei Ärzten begegnen
Es ist eine besondere Herausforderung, Ärzten bei der Bewältigung von PTBS zu helfen.Aufgrund ihrer medizinischen Ausbildung und ihrer beruflichen Rolle neigen sie oft dazu, ihre eigenen Gesundheitsprobleme herunterzuspielen oder zu übersehen. Hinzu kommt, dass der Zugang zu adäquater Hilfe durch Faktoren wie Scham und das Gefühl, professionelle Standards nicht erfüllen zu können, erschwert wird.
Warum Ärzte eine besondere Herausforderung darstellen
Die medizinische Ausbildung von Ärzten vermittelt ein tiefes Verständnis von Gesundheit und Krankheit. Dieses umfassende Wissen kann paradoxerweise dazu beitragen, dass Ärzte eigene Symptome von PTBS rationalisieren oder gar übersehen. Hinzu kommt, dass sie in ihrer professionellen Rolle ständig als Helfer auftreten, was das Eingeständnis eigener Schwächen oder das Erkennen von Anzeichen einer Belastungsstörung erschweren kann.
Zusätzlich zur fachlichen Expertise spielt auch die Scham eine entscheidende Rolle. Das Gefühl, Hilfe zu benötigen oder Schwächen zuzugeben, kann in einem Berufsfeld, das emotionale Stabilität und Widerstandsfähigkeit betont, als professionelles Versagen interpretiert werden. Es ist daher entscheidend, diese potenziellen Barrieren zu erkennen und zu adressieren, um wirksame Strategien zur Vorbeugung und Bewältigung von PTBS bei Ärzten zu entwickeln.
Vorbeugungs- und Bewältigungsstrategien
- Supervision und interkollegiale Beratung: Ein geschützter Raum, in dem Fälle und emotionale Reaktionen besprochen werden können, kann helfen, Stress abzubauen und eine frühzeitige Erkennung von PTBS-Symptomen zu ermöglichen.
- Psychologische Unterstützung: Die gezielte Inanspruchnahme von Therapie und Beratung kann den Heilungsprozess unterstützen. Kliniken und Praxen sollten aktiv auf die Verfügbarkeit solcher Dienste hinweisen.
- Selbsthilfe: Techniken wie Achtsamkeit und Meditation können dabei helfen, emotionale Resilienz aufzubauen. Zudem können Fortbildungen zur Stressbewältigung und Selbstfürsorge die Selbsthilfekompetenzen stärken.
- Organisatorische Maßnahmen: Krankenhäuser und Praxen sollten Strukturen schaffen, die das psychische Wohlbefinden unterstützen, z.B. durch ausreichende Pausen, Möglichkeiten zur Supervision und den Zugang zu psychologischer Hilfe.
Online-Therapie bei PTBS für Ärzte: Eine Studie der Universität Leipzig
In einer innovativen Studie untersucht die Universität Leipzig die Wirksamkeit von Internettherapien für Ärztinnen und Ärzte, die aufgrund eines berufsbezogenen traumatischen Ereignisses posttraumatischen Stress erleiden. Dieses Online-Therapieverfahren nutzt die kognitiv-verhaltenstherapeutischen Methoden, die auf wissenschaftlichen Grundlagen basieren.
Die Idee hinter der Studie ist, die Effizienz solcher internetbasierten Therapien für Mediziner zu überprüfen. Im Kontext der Studie werden Teilnehmer zufällig entweder einer Behandlungs- oder einer Wartegruppe zugeordnet, um den direkten Effekt der Therapie zu messen. Die Therapieeffekte werden durch Fragebögen erfasst, die das Befinden der Teilnehmenden vor, während und nach der Therapie bewerten.
Teilnehmende Ärzte oder Medizinstudenten im praktischen Jahr, die ein traumatisches Ereignis im beruflichen Kontext erlebt haben und sich dadurch seit mindestens einem Monat belastet fühlen, sind für die Studie geeignet. Ein fließendes Deutsch und ein regelmäßiger Internetzugang sind ebenso Voraussetzungen für die Teilnahme.
Die Studie beinhaltet verschiedene Phasen, von der Erstanfrage per E-Mail über das Ausfüllen von Fragebögen bis zur tatsächlichen Therapie, die entweder sofort oder nach einer Wartezeit von sieben Wochen beginnt, abhängig von der Gruppenzuordnung. Während der Therapie erhalten die Teilnehmenden wöchentliche Schreibaufgaben, die dann mit einem zugewiesenen Therapeuten ausgewertet werden.
Diese Forschungsinitiative wird von der Klinik und Poliklinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie unter der Leitung von Prof. Dr. Anette Kersting durchgeführt und ist im Deutschen Register Klinischer Studien registriert. Das Projekt hat das Ziel, die Lücke im Verständnis und in der Behandlung von PTBS bei Ärzten durch Online-Therapie zu schließen.
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